Wendepunkte in Geschichten (Schlüsselelement 2: Wendepunkte)


Ohne klar definierte und überraschende Wendepunkte wird der Leser das Interesse an der Geschichte verlieren. Finde heraus, warum.

zuletzt bearbeitet am 30. Nov 2021

veröffentlicht am 22. Jun 2018 von Eva Maria Nielsen

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Was ist ein Wendepunkt in einer Geschichte? (2021)

Was ist ein Wendepunkt in einer Geschichte? (2021) - Wendepunkte in Geschichten (Schlüsselelement 2: Wendepunkte)


Der Artikel ist Teil der Erkenntnisse des Story Grid.
© Story Grid, Shawn Coyne

 

Was erwarten wir von Geschichten?

Sie sollen uns unterhalten, klar. Aber Geschichten sind auch Wegweiser und Entscheidungshilfen, wenn wir uns in Situationen wiederfinden, die uns herausfordern.

Aber warum ist es so wichtig, dass sich eine Geschichte vom Anfang zum Ende verändert? Kann es nicht einfach wieder so sein, wie es am Anfang war?

In diesem Beitrag erfährst du mehr zu dem wichtigsten Punkt, worauf man beim Schreiben von Romanen achten sollte. Am Ende wirst du wissen, warum sich deine Geschichte und sogar jede Szene verändern muss.

 

Inhaltsübersicht

  1. Was sind Wendepunkte?
  2. Was ist ein Wertwandel?
  3. Geschichten handeln von Veränderung.
  4. Wendepunkte auf großem Level.
  5. Wendepunkte auf kleinem Level.
  6. Wendepunkte beeinflussen auch den Leser.
  7. So schreibst du Szenen, die funktionieren.

 

 

1. Was sind Wendepunkte?

Wendepunkte bilden den Höhepunkt der steigenden Komplikationen in einer Einheit der Geschichte (Kapitel, Akt, globale Story).

Sie sind die größten Komplikationen in der Szene, wenn die Figur mit neuen Informationen konfrontiert wird, die sie in eine Krise stürzen (Offenbarungswendepunkte) oder jemand oder etwas die Figur aktiv in eine Krise treibt.

Die Figur ist dann gezwungen, zu reagieren.

Wendepunkte treiben die Komplikationen zu einem Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt.

Sie können aktiv oder passiv sein. Aktive Wendepunkte werden durch die Handlung einer Figur ausgelöst, während passive Wendepunkte durch eine Offenbarung hervorgerufen werden.

Wendepunkte folgen den steigenden Komplikationen und definieren sich als die letzte Komplikation, wo am meisten auf dem Spiel steht.

Ein Wendepunkt bezeichnet die Lücke, die aus der Gegensätzlichkeit zwischen: »Was erwartet der Protagonist, was passiert« und »Was wirklich passiert« entsteht.

Sie sind die Entscheidungen, die ein Autor trifft, die in die Krise überleiten. Die Krise stellt immer eine Frage dar: Eine Entscheidung zwischen der besten schlechtesten Wahl oder zwei positiven, nicht miteinander vereinbarungsfähigen Möglichkeiten.

Erfahre hier alles, was du zur Krise wissen musst: Die Krise für Figuren im Roman (2021)

Wie zuvor erwähnt, kann man einen Wendepunkt entweder durch eine Aktion der Figur hervorrufen oder durch eine Offenbarung.

Eine der besten Möglichkeiten um herauszufinden, ob deine Szene funktioniert, ist es den Punkt zu lokalisieren, wo sich der Ist-Zustand verändert. Das ist meist die Stelle, wenn etwas unerwartetes geschieht.

 

Der Wendepunkt an einem einfachen Beispiel erklärt:

Ausgangssituation: Ich sitze im Park und der Wind reißt mir eine Eintrittskarte aus der Hand, genau von dem Konzert, auf das ich mich schon Monate gefreut habe.

Mein Ziel: Die Karte wiederzubekommen.

Komplikation 1: Was würde passieren, wenn ich aufspringe und mich in der Picknickdecke verheddere und auf die Wiese falle?
Durch diese erste Komplikation werde ich am Erreichen meines Ziels gehindert. Mein Fuß, der sich in der Picknickdecke verfangen hat, wird somit zu einem Hindernis, das ich überwinden muss, um das Konzertticket zu erreichen.
Ich schaffe es. Ich habe somit ein Hindernis auf meiner Reise überwunden, um das Ticket wiederzubekommen.

Komplikation 2: Dann laufe ich weiter und nur auf das Ticket sehend, renne ich auf eine Straße und werde nur knapp von einem Auto verfehlt.
Betrachten wir diesen zweiten Vorfall aus der Sicht von steigenden Komplikationen, dann war dieser Vorfall sogar noch gefährlicher, weil es immer schwieriger wird, an das Ticket zu kommen. Ein Aufprall gegen den Wagen hätte mich fast von meinem Weg abkommen lassen.

Wendepunkt: Dann will ich weiterrennen, doch ich höre ein Baby weinen.

Genau das ist der Wendepunkt meiner: »Ich fange das Ticket wieder ein«-Szene. Denn es ist der Moment, direkt vor der Krise.
Etwas unerwartetes geschieht. Im nächsten Moment entscheide ich, dass es wichtiger ist, dem weinenden Baby zu helfen, als das Ticket zu bekommen.

Wenn das Baby mit Schreien anfängt, ändert es die Szene. Und der Wert der Szene ändert sich von »geleitet« zu »fehlgeleitet«, weil ich von meinem Ziel abkomme.
Denn wenn das Baby schreit, wandelt sich mein Fokus und eröffnet die Frage der Krise: Helfen oder Ticket fangen.

 

2. Was ist ein Wertwandel?

Das erste, was man über Wendepunkte wissen muss, ist das Konzept des Wertewandels.

Ein Handlungs-Wert (Story Grid: Story Value) ist etwas, das du subjektiv auf einem Spektrum einordnen kannst.

Beispiel:

Stell dir vor, du hast zwei Farbtöpfe: Schwarz und Weiß. Diese beiden Werte liegen jeweils an einem Endpunkt eines Spektrums. Doch dazwischen liegen die gesamten Farbnuancen, wenn man diese beiden Farben mischt: Schwarz - Dunkelgrau - Grau - Hellgrau - Weiß.

Die Annahme von vielen verschiedenen Punkten auf einem Spektrum (Handlungs-Werte) kann man auch auf andere Gegensätze übertragen.

Das Konzept von Gut und Böse hat einen bekannten Handlungs-Wert. Hier hast du das Gute auf der einen Seite und das Böse auf der anderen. Dazwischen gibt es alle möglichen Variationen.

Wichtig ist, dass man sich von einem Teil des Wertespektrums zu einem anderen bewegen kann.

Oder betrachte das Spektrum von Lügen und Wahrheit. Manchmal erzählen wir kleine Notlügen, um eine tiefere Wahrheit zu verbergen oder zu enthüllen. Das Konzept der Lüge, die auf der negativen Seite liegt und der Wahrheit, die auf der positiven Seite liegt, hat viele verschiedene Variationen dazwischen.

Werte sind die subjektiven Dinge, die wir in der Welt interpretieren.

Die Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen, erfolgt dadurch, wie wir die Welt bewerten.

Wir brauchen Geschichten, um uns in der Welt zurechtzufinden. 

Der Wert einer Geschichte ist entscheidend. Wenn in deiner Geschichte keine Werte vorkommen, geht es eigentlich um gar nichts, oder?

Ein Wertwandel tritt dann auf, wenn sich ein Zustand durch ein Ereignis oder eine Erfahrung verändert.

Ein einfaches Beispiel:

Bevor es regnet (Ereignis), ist der Boden trocken (Zustand). Nachdem es geregnet hat, ist der Boden feucht. Dieses Beispiel bezieht sich auf einen Wertwandel der Umwelt, der von einem natürlichen Ereignis verändert wurde. Dasselbe Ereignis kann auch einen Wertwandel in einer Figur hervorrufen: Der Regen kann sich in Hoffnung wandeln, wenn der Protagonist z.B. eine Farm besitzt, die von einer Dürrezeit bedroht wird.

Ein Beispiel auf den Menschen bezogen:

Vor dem Trinken (Ereignis), ist eine Person durstig (Zustand). Nach dem Trinken ist die Person erfrischt. Dieser kleine Wertwandel kann je nach den Umständen, in denen sich eine Person befindet, einen großen Einfluss haben. Sollte die Figur seit mehreren Tagen nichts getrunken haben, kann sich der Wertwandel von möglichem Tod zurück zum Leben wandeln.

Ein Beispiel im Zusammenhang mit der Szene einer Geschichte:

Bevor ein Mann eine potenzielle Freundin findet (Ereignis und Erfahrung), fühlt er sich allein (Zustand). Doch nachdem sie zusammengekommen sind (zumindest temporär), fühlt er Verbundenheit. Dieselbe Szene kann in ihrem Wertwandel von Ignoranz (wenn sich die beiden noch nicht kennen) zu Anziehung (wenn sie sich mögen) verlaufen. Im Verlauf einer Liebesgeschichte kann das Paar von Ignoranz bis hin zu einer festen Bindung kommen.

Es gibt auch Veränderungen, die sich von den beiden gegensätzlichen Polen eines Genres unterscheiden.

In einem Krimi verändert sich bei der Szene »Die Entdeckung der Leiche« der Wert von Leben zu Tod, während ein Krimi den Wandel zwischen »Gerechtigkeit vs. Ungerechtigkeit« behandelt.

Dennoch sind diese zwei Werte miteinander verwandt.

Interessiert, wie das Wertespektrum für die unterschiedlichen Genres aussieht? Schau sie dir hier an: Kernwerte der Genres

 

3. Geschichten handeln von Veränderung.

Egal, von welcher Perspektive wir unsere Reise betrachten, Veränderung ist ein Faktor, der uns immer begleitet. Ob wir es wollen, oder nicht.

Sei es, dass es düster wird, Regen einsetzt oder die Sonne scheint. Wind verweht unser Haar. Wir fühlen Wärme oder Kälte, nehmen unterschiedliche Gerüche wahr oder hören das Meer rauschen.

Alles was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen, verändert sich auf unserer Reise – selbst, wenn wir uns am selben Fleck aufhalten.

Mit Geschichten ist es gleich. Geschichten brauchen Veränderung, sei es im Makrokosmos der globalen Geschichte oder in den einzelnen Bestandteilen einer Story (Akte, Sequenzen, Szenen, Taktschläge)

Ohne Veränderung haben wir keine Geschichte. Wer möchte schon, dass alles gleich bleibt?

Keiner will ohne Veränderung leben. Eine Welt, wo alles gleich bleibt, ist nicht lebenswert. Sie ist langweilig. Wenn immer nur die Sonne scheint, sehnen wir uns nach dem Tag, wo wir endlich wieder hören, wie der Regen an unsere Fenster klopft.

Wer Geschichten schreibt, muss seine Geschichte wie eine Reise für seine Leser betrachten.

Wir wollen den Leser an verschiedene Orte bringen, ihn mit seinen Sinnen erfahren lassen, wo er ist und ihm immer weiterführen.

Veränderungen gehören in jede Einheit von Geschichten. Und wem es gelingt, Szenen zu schreiben, die sich wandeln, der hat einen wichtigen Teil des Schreibhandwerks verstanden.

Ohne eskalierende Konfliktstufen, die einen Punkt erreichen, an dem die Figur reagieren muss, ist eine Szene langweilig. Es fühlt sich an, als ob nichts geschähe. Und ohne Spannung wird auch keine Veränderung stattfinden.

Um die Leser zu überraschen, variiere die Arten von Wendepunkten, die du in deiner Arbeit verwendest und stelle sicher, dass die Komplikationen zu einem Punkt führen, an dem es kein Zurück mehr gibt, oder an dem der Protagonist nicht mehr zu dem zurückkehren kann, wie es vorher war.

Das wird bei deinen Lesern gut ankommen, weil es deine Figuren dazu zwingt, eine Entscheidung zu treffen und das wiederum führt zu echten Entwicklungen.

Selbst in den Taktschlägen gibt es die kleinen Nuancen des Wandels, die in ihrer Gesamtheit und mit der zunehmenden Größe der Einheiten von Geschichten sich zu einer gravierenden Kraft entwickeln.

Die Natur des Wandels ist jedoch nicht beliebig, sondern sie bezieht sich auf das menschliche Bedürfnis, das wir mit unserem Genre definieren (Romance: Liebe vs. Hass, Krimi: Gerechtigkeit vs. Ungerechtigkeit; Action: Leben vs. Tod, etc.). Diese zwei gegensätzlichen Pole bilden den Wertwandel, der auf dem Spiel steht.

Bitte bedenke: So wie sich Szenen verändern, hat diese Veränderung Einfluss auf den Wandel der gesamten Geschichte.

 

4. Wendepunkte auf großem Level

Beispiel: Stell dir eine Szene vor, wo sich dein Protagonist mit seiner Verabredung in einem Restaurant trifft. Der Leser erwartet hier eine typische Kennenlernszene. Wer kann mit was überzeugen; wie verstellen sie sich, nur um den anderen zu beeindrucken; wer lacht an welchen Stellen, etc.

Sind diese Szenen innovativ geschrieben, erfreut sich der Leser an der Situation der Figuren, weil sie ihm vertraut vorkommt und er so hautnah dabei sein kann.

Doch die Szene funktioniert nicht, wenn sie mit dem Wert abschließt, mit dem sie begonnen hat. D.h. wenn sie positiv beginnt (sie treffen sich: Freude), kann sie nicht positiv enden (Freude, dass sie sich getroffen haben).

Sie kann entweder doppelpositiv enden (eine Steigerung der Ausgangslage zum Doppelpositiven z.B. Intimität), sie kann negativ (Streit) oder doppelnegativ (Hass) enden.

Damit sich die Szene wandeln kann, brauchen wir einen Wendepunkt – den Punkt, wo etwas Unerwartetes geschieht oder etwas preisgegeben wird, auf das der Protagonist reagieren muss.

Eine Offenbarung wäre, wenn der Protagonist im Gespräch herausfindet, dass sein Date verheiratet ist.

Eine Aktion wäre, wenn der Ehemann des Dates im Restaurant erscheint und den Protagonisten vom Stuhl wirft.

In beiden Fällen ergibt sich für den Protagonisten eine neue Situation, auf die er reagieren muss.

Es ist der Moment vor der Krise.

Die Krise ist dann die Frage, für was er sich von den bestehenden Möglichkeiten entscheiden soll.

Bei der Offenbarung könnte die Krise sein: Soll er zu der Person werden, die eine Verheiratete verführt, oder soll er moralisch klug und uneigennützig handeln, und das Date abbrechen? Lässt er sich auf sie ein, handelt er gegen seine Moral. Lässt er sich nicht auf sie ein, wird er allein sein. Welche beste schlechteste Wahl soll er treffen?

Bei der Aktion mit dem Ehemann, der ihm vom Stuhl reißt, kann er sich entweder dazu entscheiden, in eine Prügelei einzusteigen, Verletzungen zu riskieren und aus dem Restaurant geschmissen zu werden, oder er kann sich rausreden, dass es nur ein geschäftliches Treffen sei, und lügen.

In beiden oben genannten Fällen (Offenbarung und Aktion) hat sich die Szene komplett gewendet. Sie verlief in eine klar definierte Richtung (das gegenseitige Kennenlernen mit dem Wunsch auf Initmität), bis die Aktion / Offenbarung die Szene herumdrehte.

Die Aktion des gegenseitigen Kennenlernens bei einem gemütlichen Essen hat sich also zum Negativen gewandelt. Der Leser wird hier durch die Kehrtwende der Szene gepackt und erfreut sich der neuen, unerwarteten Wendung, weil er wissen will, wie der Protagonist reagieren wird.

Dies kann natürlich auch (wenn wir bei einem Liebesroman bleiben) an anderer Stelle geschehen. Es kann der Höhepunkt des Romans sein, der dazu führt, dass sich die Liebenden trennen und in den Schlussteil der Geschichte führt, der die große Frage beantworten muss: Werden sie wieder zusammenkommen oder nicht.

 

5. Wendepunkte auf kleinem Level

5.1 Wendepunkt durch Aktion: Die Figur ergreift die Initiative.

Eine Figur unternimmt etwas, was die Umstände verändert.

Je länger man sich darin schult, auf die Momente zu achten, wo sich eine Szene wandelt, umso mehr wird man auch die kleineren Anzeichen wahrnehmen.

Nicht jede Szene wendet sich durch eine Explosion, das überraschende Auftauchen einer Person, einer Naturgewalt, etc. Es gibt auch subtilere Möglichkeiten, einen Wendepunkt einzubringen.

Beispiel: The Way we Were

Stell dir vor, deine Protagonistin läuft abends von der Arbeit nach Hause. Auf der gegenüberliegenden Seite sieht sie ihre heimliche Liebe in einem Café sitzen, dem das Glück immer in die Hände zu fallen scheint, während sie für alles hart arbeiten muss. Sie zwingt sich, ihn zu ignorieren, weiterzulaufen und sich auf das zu konzentrieren, was sie erreichen will. Doch sie stolpert. Daraufhin ruft er sie zu sich und sie überquert die Straße. Er ist ein wenig angetrunken und ist ehrlich mit ihr. Er erzählt ihr Dinge über sich, die niemanden beeindrucken würde, außer genau sie.

Nach einem gemeinsamen Glas Wein, sagt sie, dass sie gehen muss.

Er steht mit ihr auf und geht zu ihr. Jeder erwartet, dass er sie küssen würde.

Doch stattdessen kniet er sich nieder und bindet ihre Schnürsenkel zu.

Er sagt: "Du schaffst das."

Diese Szene wandelt sich durch die Aktion der männlichen Figur.

Die Aktion ist: Anstatt ihr zu sagen, wie er fühlt, weicht er aus und bindet Ihre Schuhe zu. Er lässt sie ihren Weg gehen und insgeheim ist er beeindruckt von ihr. Vor allem, weil sie sich traut, zu kämpfen, während er das leider nie lernen musste. 

 

5.2 Wendepunkt durch Offenbarung: Eine Information wird enthüllt, welche die Umstände verändert.

Solltest du bereits einmal den Satz gehört haben: »Nutze Exposition als Waffe«, dann bezieht man sich auf diese Art von Wendepunkt.

Der Autor setzt hier sein göttliches Wissen über die Geschichte, Hintergründe oder andere nützliche Information ein, um durch Konflikt einen Wendepunkt zu erschaffen, der durch die gewonnene neue Information zu einer Krise führt.

Nützlich ist es bei einer Offenbarung, wenn weder der Leser noch der Protagonist die neue Erkenntnis erahnen können.

Beispiel: Chinatown

Jack Nicholson spielt Jake Gittes. Er muss den Mord eines reichen Mannes untersuchen. Er besucht das Haus des Opfers und trifft nach der Vernehmung der Witwe den Gärtner, der in einem Zierteich das Gras herausfischt. Gittes starrt auf das Wasser und der Gärtner glaubt, er würde nun verhört werden und sagt: "Schlecht für das Glas."

Gittes ist perplex und sieht zu ihm.

"Salzwasser ist schlecht für das Glas."

Der Gärtner fischt daraufhin eine zerbrochene Brille heraus, die Gittes gesehen hatte.

Diese Szene wandelt sich durch zwei scheinbar unwichtige Offenbarungen (Salzwasser, Brille des Toten), die später die Schlüsselfaktoren zum Lösen des Falls sind. Gittes wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass das Opfer ertrunken ist.

 

6. Wendepunkte beeinflussen auch den Leser.

Gut durchdachte Wendepunkte bringen den Leser dazu, die Geschichte weiterlesen zu wollen und sie durch ihre eigenen emotionalen Zyklen zu erleben.

Wir haben gesagt, dass ein Wendepunkt die Lücke zwischen Erwartung und Wirklichkeit bezeichnet.

Der Leser wird sich fragen, wie sich diese Lücke ergeben konnte. Er wird die Informationen überdenken, die er bereits über die Figuren und Ereignisse erhalten hat, und feststellen, dass sich sein Einblick in die vergangenen Geschehnisse vergrößert.

Bestes Beispiel für einen Wendepunkt durch Offenbarung ist George Lucas gelungen, als Darth Vader Luke Skywalker gesteht, wer sein Vater ist. Eine Offenbarung, die bereits seit dem Anfang des Films vorbereitet wurde.

Auch im realen Leben ist es so: Es gibt Momente im eigenen Leben, da werden die Hindernisse so übermächtig groß, dass sie uns in eine Krise zwingen.

 

7. So schreibst du Szenen, die funktionieren.

In kurz: Man muss sicherstellen, dass der Wert am Szenenanfang sich im Gegensatz zum Szenenende gewandelt hat.

Sprich, wenn wir eine Actionstory schreiben, deren Werteskala sich zwischen Leben und Tod bewegt, muss der Wert entweder näher zum Tod oder zum Leben am Ende der Szene rutschen.

Außerdem muss jede Szene über die fünf Bestandteile verfügen, die Shawn Coyne im Story Grid so detailliert aufgeschlüsselt hat.

Zusammengefasst sind die fünf Bestandteile:

  • Auslösendes Ereignis (zufällig oder kausal)
  • Steigende Komplikationen & Wendepunkt (durch Aktion oder Offenbarung)
  • Krise (beste schlechteste Wahl oder zwei positive Optionen, die sich nicht miteinander vereinbaren lassen)
  • Höhepunkt
  • Auflösung

 

Aber das ist nur Theorie. Wichtiger ist, wie du dieses Wissen in die Praxis umsetzen kannst.

Diese fünf Bestandteile einer Szene (im Übrigen auch von jeder Einheit einer Geschichte – im Makro- & Mikrokosmos betrachtet) bauen eine Geschichte auf. Ohne diese Elemente trägt die Story kein Leben in sich.

Wenn wir also an unsere Reise zurückdenken, dann sind diese Elemente die Zwischenfälle, Herausforderungen, Stolpersteine, Kreuzungen und atemberaubenden Erlebnisse, die uns auf unserem Weg begegnen.

Es sind Elemente, die uns aus dem Gleichgewicht werfen können, die Situationen verschlimmern, uns zu einer Entscheidung zwingen und uns mit den Konsequenzen konfrontieren.

Wer auf diese Elemente verzichtet, hat eine Geschichte, die sich nicht vom Fleck bewegt. Reise = Stillstand.

Ob man es nun als Schablone betrachtet oder nicht, aber das sind die Bauteile, die eine Geschichte / einen Akt / Sequenz oder eine Szene ausmachen.

Betrachten wir unsere Geschichte aus der Makroperspektive, kann man die Veränderung leicht erkennen.

Frodo ist nur ein Hobbit im Auenland, bis er zum Retter von Mittelerde wird. Eine Reise, die ihn so geprägt hat, dass er mit den Elben das Land verlässt.

Oder sei es eine Liebesgeschichte. Am Anfang der Story kennen sich die beiden Liebenden nicht, am Ende sind sie zusammen.

Im Krimi das gleiche: Am Anfang tötet ein Mörder, am Ende ist er gefasst.

Zwischen Anfang und Ende liegen natürlich Konflikte.

Erfahre in diesem Beitrag alles, um spannende Konflikte zu schreiben: Konflikte für Figuren schaffen (2021)

Der Protagonist lernt aus seinen Erfahrungen. Die Ereignisse haben seine Sicht auf gewisse Dinge verändert, und somit auch sein komplettes Leben.

Aber um den Protagonisten bis zum Ende zu bringen, müssen auch während der Geschichte Veränderungen auftreten. Und das nicht nur ab und zu, sondern in der globalen Geschichte, in den Akten, Sequenzen und Kapiteln/Szenen.

Tipp: Wer sein Schreibhandwerk verbessern will, sollte sich darauf fokussieren, Szenen zu schreiben. Denn Szenen sind die stärksten Bausteine einer Geschichte. Und wer Szenen schreiben kann, die sich wandeln und die alle fünf Schlüsselelemente in sich tragen, wird dieses Wissen auch auf die globale Geschichte übertragen können.

 

Außerdem sollte sich die Art der Wendepunkte immer wieder abwechseln.

Die einzigen beiden Wege, dass sich eine Szene wandelt, geschieht durch die Handlung einer Figur oder durch Offenbarung.

Beim Überarbeiten sollte man jede Szene genau untersuchen und den Punkt herausfinden, wo sich der Wert der Szene wandelt und durch welche der beiden Möglichkeiten es geschehen ist.

Sollte es immer nur Offenbarung, Offenbarung, Offenbarung, Offenbarung, Aktion, Offenbarung sein, wird der Leser frustriert sein, weil es wie in einer Seifenoper immer mehr neue Informationen gibt. Vor allem, wenn man eine Action-Geschichte schreibt, erwartet der Leser, dass die Figuren mehr zu Handlungen gezwungen werden.

Natürlich sollte man auch nicht jeden Wendepunkt als Aktion haben, denn dann kann die Geschichte zu stark durchgeplant wirken und nicht mehr real, dass der Leser sich in diese Welt hineinversetzen kann.

Um Abwechslung in die Geschichte zu bringen und den Leser mitzureißen, sollte man sich die Wendepunkte in den Szenen, Sequenzen und Akten ansehen. Wenn Akt 1 sich durch eine Aktion wandelt, sollte Akt 2 eine Offenbarung sein, und umgedreht.

Diese anlytische Vorgehensweise hilft, die Probleme in Geschichten zu finden. Wenn jemand sagt: "Irgendetwas war in deiner Geschichte nicht richtig", kann es ein Problem mit den Wendepunkten sein. Um das zu testen, muss man versuchen, die Probleme der eigenen Geschichte herauszufinden.

Merke dir einfach: Wenn der Leser erwartet, dass du nach links abbiegst, gehe rechts, und umgedreht.Abwechslung zwischen Aktions- und Offenbarungswendepunkten kann deiner Geschichte mehr Spannung geben.



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Melanie Naumann ist die erste zertifizierte deutsche Story Grid Lektorin. Sie ist die Gründerin von Storyanalyse.de und gab die Leitung von Storyanalyse im Dezember 2021 an die Geschichtenhebamme Eva Maria Nielsen ab. Melanie arbeitet seither vorwiegend mit Songwritern zusammen, um ihnen zu helfen, die Power of Storytelling für ihre Songtexte zu nutzen.

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Kommentare 1


Timo

21. Mai 2021

Hallo! Das ist ein toller Beitrag. Ich liebe Geschichten und mag es nicht weniger zu schreiben, doch kann ich beides nicht wirklich verbinden: ich kann also keine Geschichten schreiben. Man lernt Geschichten und Erzählungen schon so früh im Leben kennen, aber wenn man sich im Laufe des Lebens näher mit ihnen befasst merkt man, wie viel Aufwand, Technik, Talent und Können dazu gehört auch nur die kleinste Szene zu schreiben. Für mich ist das sehr faszinierend. Ich habe jüngst mein Lehramtsstudium (u.a. Deutsch) begonnen, um mein Interesse zu nähren, doch das eigentliche, praktische Handwerk des Schreibens lernt man dort nicht. Das ist sehr schade, denn ich bin auf der Suche nach einer Möglichkeit mir das Wissen und vor allem das Handwerk "Schreiben"/"Erzählen" anzueignen. Ich strotze vor Ideen, doch lassen sie sich nicht verarbeiten. In der Vergangenheit habe ich mich an zahlreichen Gedichten versucht, was mir ebenfalls Spaß macht, doch auch hier war mein Horizont stets beschränkt. Das soll sich nun endlich ändern und da wir im Studium gerade bei der "Novelle" sind, habe ich mich gefragt, wie man wohl gute Wendepunkte in einer Erzählung verbaut und bin hier gelandet. Und ich bin froh darüber, denn nicht nur die Aufmachung des Artikels, sondern auch der einsteigerfreundliche Inhalt sowie der tolle Zugang zur Materie haben mir sofort eingeleuchtet und mich motiviert. Ein wohltuender Schritt in die Richtung meines Traums, aus meiner (zumindest gefühlten) Begabung ein Talent zu machen. Das stimmt mich sehr froh :) Vielen Dank!